"Willkommen in Alaska" steht auf dem Holzschild vor dem einsamen Grenzposten. Wir bleiben eine Weile wortlos und in sicherer Entfernung davor stehen, holen noch mal tief Luft und dann sind wir plötzlich da. Ist das jetzt schon das Ziel unserer Reise? Was ist denn überhaupt das Ziel unserer Reise? Wir sind gestartet an der "Bahia Lapataia", am Beagle Kanal in Feuerland. Näher kann man nicht ran ans Kap Hoorn. Also, so sind wir uns einig, müssen wir auch ganz hoch, nach Prudhoe Bay, wo die Strasse endet.

Wir donnern hinein nach Boundary, dort soll es eine Kneipe geben. An der Tür hängt ein Schild: "We dont dial 911!", darunter das Bild von einem Revolver. Welcome to Alaska! Die Tür ist zu, der Ort scheint wie Hals über Kopf verlassen. Der Besitzer ist spurlos verschwunden, so erfahren wir später. Ein Blechschild quietscht gelangweilt im Wind, sonst ist es still. Mir kommen schaurige Gedanken an "shining", als Jack Nicholson in diesem verlassenen Berghotel seine ganze Familie...

Wir verlassen wortlos diese Szenerie und spulen Meile für Meile durch endlos trostlose Friedhöfe von schwarzen Baumstümpfen. Vor zehn Jahren wütete hier ein Inferno, in dem 6 Millionen ackre Wald verbrannten. Ein natürlicher Prozess, Teil eines ständigen Zyklus, der Raum schafft für Neues: Pionierpflanzen rücken vor, neue Tierarten finden Platz und das leuchtend rote "fireweed", so weit das Auge reicht, bietet dem ambitionierten Fotographen erfreuliche Kontraste.

Wir wähnten uns schon fast auf der Zielgeraden, da beschert uns einer der zahlreichen RVs (rikrieeschenel wihikel) eine echte Grenzerfahrung: In einer langgezogenen Linkskurve räumt er um Haaresbreite Petra von der Strasse, d.h. mit "Spiegelkontakt", also echt knapp!

Für dieses Verhalten gibt es verschiedene Ursachen:

1.) Der 80 jährige Fahrer hat sich letzte Woche dieses Monstrum gekauft und kennt dessen Ausmaße nicht.

2.) Er ist besoffen eingeschlafen

3.) Er hat es mit Absicht gemacht

Wieder mal werden wir alleingelassen mit dem Gefühl ohnmächtiger Wut. Nach all den Monaten wissen wir immer noch nicht, wie wir damit umgehen sollen. Wie in der freien Wildbahn gibt es keine Knautschzone, sondern nur die eigene Umsicht, die einen am Leben erhält.

Beim Besuch von Fox Roadhouse, zurück auf dem Alaska Highway, bewundern wir die beeindruckende Sammlung von ausgestopften Tieren und lassen uns von dessen Besitzer in die Welt der Bären- und Bisonjagd entführen. Auf die Frage, was er empfiehlt für den Fall unerwünschter Bärenbegegnungen, kommt lapidar die Antwort:"45er Magnum"- Welcome to Alaska! Bei einer Einladung zum Barbecue wollen wir höflich sein und erkundigen uns bei unseren Gastgebern, wie man "Guten Appetit!" auf Englisch sagt. Die Prospektorin mit dem Colt am Gürtel sagt: "You know, we say it the alaskan way!" kommt die lapidare Antwort: "Shut the fuck up and eat that goddam food!" - Welcome to Alaska!

In Fairbanks, der letzten Station vor dem Abenteuer "Dalton Highway", landen wir in Billies Hostel, einem liebenswerten Ort, Sammelbecken für Spinner auf zwei Rädern und andere durchgeknallte Gaukler. Für uns ein "home away from home" mit wertvollen Begegnungen, Barbecue im Garten und einer immer vollen Kaffeekanne.

VON FAIRBANKS ZUM ENDE DES REGENBOGENS!!!

Der Weg zum "Ende der Welt" führt über den Dalton Highway, eine 800 km lange Schotterpiste, die zur Versorgung der arktischen Ölfelder im hohen Norden Alaskas gebaut wurde. Entlang dieser Route führt auch die "Alyeska Pipeline", die das größte Ölfeld Nordamerikas mit Valdez, dem einzigen ganzjährig eisfreien Hafen im Süden, verbindet. Unterwegs gibt es nur drei Kneipen, wo man etwas essen kann: An der Brücke über den Yukon, auf halber Strecke in Coldfoot und ganz oben in Deadhorse. Wie der Name schon sagt, geht es ab hier nicht mehr weiter, die Strasse endet.

Wir wurden gewarnt vor Grizzlys, Wölfen und vor allem den vorbeirasenden "Monsterlastwagen", die einem die Steine ins Gesicht schleudern. Gespannt, aber gelassen, machen wir uns schwerbepackt auf die letzte große Etappe.

       "HAPPINESS IS NOT A DESTINATION -
ITS A WAY OF TRAVELLING"

"You guys are hardcore!" ruft uns einer der Trucker zu. Wie so oft auf unserer Reise sind die LKW Fahrer uns gegenüber sehr rücksichtsvoll, bremsen ab und wir werden sogar "von oben" mit kleinen Snacks beschenkt. Die ersten Tage bis Coldfoot fordern uns einiges ab: 1500 Höhenmeter, jeden Tag 100km (wir haben nur für 8 Tage zu Essen) und das auf Schotter, yipiieh!

"Komm, lass uns hier campen!" Wir sind durchgeweicht bis auf die Knochen, seit 7 Stunden im Sattel und in einem kleinen Bach sprudelt frisches Wasser von den Bergen herunter. Als ich vom Rad steige, stürzen sich Myriaden von Mücken auf mich, jeder Millimeter Haut wird attackiert. Das einzige Mittel sind lange Ärmel und ein albernes Netz über den Kopf. "Eins werden mit der Kreatur" raten uns die Einheimischen. Tatsächlich gewöhnen wir uns langsam an die Biester oder werden wir am Ende gar nicht mehr gestochen?

"Arctic Circle"-ein Holzschild, ein Mülleimer und ein Parkplatz. Touristen werden abgeladen, 15 Minuten Fotos geknipst und Urkunden verteilt. "I survived" heißt es darauf. "Warum tun die das?" fragen wir uns. "Warum tun die das?" fragen die sich.

Die Tage fließen dahin im immergleichen Rhythmus von Radeln, Essen und Zelt aufbauen.

Wir überqueren die Brooks Range und nähern uns der nördlichen Tundra.

"IT CAN T GET ANY BETTER"

Die Vegetation nimmt zusehends ab, nichts als Weite. Nichts, das den Blick verstellt.

Ein Potpourri von Düften begleitet uns, es ist, als wenn alles Leben explodiert und im Zeitraffer alles erblüht. Wir nehmen feine Nuancen wahr, je weiter wir nach Norden vorrücken.

Ein Wolf kreuzt in sicherer Entfernung unseren Weg und trabt mit federndem Schritt in großem Bogen davon. Wir sehen ihm lange nach, bis er im Nirgendwo verschwindet. Wir sind glücklich. Wir sind bald angekommen und fühlen uns zurückversetzt in die Weite Patagoniens. Fast hätten wir die Strapazen vergessen, die uns damals die fürchterlichen Strassen und der erbarmungslose Wind bescherten. Jetzt kehren wir dahin zurück.

"Da!" In der Ferne die ersten Baracken der Ölstation. Wir wissen nicht so richtig, wie wir umgehen sollen mit dem Gefühl, da zu sein. 27000 Kilometer, 18 Monate und durch 15 Länder hat uns dieses Ziel immer vorangetrieben und jetzt heißt es plötzlich "Welcome to Deadhorse". Wir sind müde, ausgelaugt und geraten sogar um nichts in einen dummen Streit.

Eine Gruppe Jäger, wilde Burschen auf Karibujagd, springen aus ihrem Jeep und hauen uns auf die Schultern. "All the way from Argentiiiina! That’s fuckin' crazy!" Alle wollen ein Foto mit uns machen. So haben wir doch noch eine kleine "Siegerehrung" im eiskalten Wind, am verrosteten Ortsschild von Deadhorse, neben einem Müllcontainer. Wir bahnen uns den Weg vorbei an Bohrtürmen, Wellblechbaracken und öligen Pfützen zum einzigen "Hotel" am Ort. Für Ölarbeiter im Schichtdienst wird hier 24 Stunden "All you can eat" geboten, der Chinese am Buffet schüttelt grinsend den Kopf, als wir zum vierten Mal um einen Nachschlag bitten.

"Keine Chance, hier könnt ihr mit dem Rad nicht rein! Das ist gegen das Gesetz!" raunzt der Sicherheitsbeamte am Tor zu den Ölfeldern, als hätte er soeben die Tontafeln von oben gereicht bekommen. Schweren Herzens lassen wir also unsere treuen Gefährten, die uns den ganzen Weg getragen haben, zurück und besteigen mürrisch den leeren Touristenbus, der durch die Anlagen und zum Eismeer führt.

Etwas feierlicher haben wir uns diesen Moment schon vorgestellt. Wir ziehen uns aus und hüpfen quietschend ins eiskalte Wasser, während der bewaffnete Beamte mit wichtiger Miene nach Eisbären Ausschau hält. Zwischen zwei Ölfässern und einem Drahtzaum halten wir uns fest, schießen ein Foto, bevor wir schlotternd in den Bus steigen. Die Rückfahrt erleben wir schweigend, jeder für sich mit seinen Gedanken:

"Am 28.Januar 2006 sind wir in Ushuaia gen Norden aufgebrochen am 15 Juli 2007 rollen wir in Deadhorse ein! Der Kreis schließt sich, denk ich überwältigt! Wir haben es geschafft! Wir haben es tatsächlich durchgezogen!

Ich sehe das Meer, hässlich, kalt, grau. Ich weiß gar nicht was ich fühle! Alles ist da. Gleichzeitig. Mein Herz klopft, Freude, Trauer, Stolz, Liebe, Demut! Wir halten uns bei den Händen, starren aufs Meer, Tränen verschleiern den Blick."

Ein langer Weg liegt hinter uns. Wir leben und haben mehr erlebt, als in ein Leben passt. Wir haben unseren Traum gelebt. Wir sind da. Wir haben's geschafft. Willkommen am Ende der Welt.

Dipo + Petra am Ende des Regenbogens 15.Juli 2007 

43 | ALASKA  DAS FINALE
Top of the World - Prudhoe Bay(Deadhorse)
26. Juni - 15.Juli 2007