Die Berichte

Puerto Maldonado (18.09.) - Cusco (24.09.2006)

Dschungel 18.8-24.9. 2006

Puerto Maldonado ist eine entlegene Dschungelstadt mit einer Plaza, die einst von den ersten Einwanderern, einer Gruppe Japanern, konstruiert wurde. „ La gente de la selva es muy diferente,“ (Die Waldmenschen sind ganz anders!) so erzählen uns die Cuscueños bevor wir fliegen. Mir gefällt es auf Anhieb gut. Die herrliche Temperatur und die feuchte Wärme tun uns nach wochenlangem Altiplanowetter unendlich gut. Wir erfahren von Ronaldo, dem örtlichen Führer, einiges über diesen Ort, seine Ideologien und den Sorgen, die er sich über ein Brückenprojekt macht.  Einerseits ist es ein Teil der Interoceanica (Verbindungsstrasse Brasilien—Bolivien) was ein wichtiger Wirtschaftsaufschwung für Puerto Maldonado bedeuten könnte, gleichzeitig beinhaltet der Bau viele negative Folgen und schlechten Einfluss auf die Natur und die Stadt.

Ein kleines Beispiel dafür sind 2000 Familien, die seit Jahrzehnten vom Fährverkehr leben, und im nächstem Juni, wenn die Brücke fertig sein soll, arbeitslos sein werden. Sie haben das Gefühl, dass sie durch die rasante Veränderung den „Kürzeren“ ziehen, obwohl es wohlüberlegt eine positive Entwicklung darstellen sollte. Dies und vieles mehr erzählt uns Ronaldo und wir freuen uns, einen Führer mit Herzblut und Engagement für die Natur und die Einheimischen kennenlernen zu dürfen.

Auf dem Weg zur Lodge, die ein paar Stunden flussaufwärts liegt, sehen wir die ersten Schildkröten. Zahlreiche Goldgräber am Ufer buddeln Tag für Tag im Sand und hoffen auf „die Grosse Glück“. Erzielen sie einmal einen ungewöhnlich hohen Tagesertrag, so sorgen sie in der nächstgelegenen Bar dafür, dass er schnell unter die Leute kommt. Die Lodge, die wir nach einigen Bootsstunden erreichen, ist der Ausgangspunkt für viele interessante Ausflüge in die bunte Dschungelwelt! Begeistert lassen wir uns auf die kleine, gegenüberliegende Affeninsel schippern. Im Handgepäck frische Bananen und die Kamera. Kaum auf der Insel finden wir uns im Dickicht wieder und vernehmen die unverkennbaren Laute, aufgescheuchter Affen und exotischer Vögel. Nach und nach getrauen sich einige der verschiedenen Affenarten an uns heran. Sie freuen sich über die mitgebrachten Bananen, die sie uns keck aus der Hand reissen. Besonders gefallen mir die Spinnenaffen, die sich mit ihrem kraftvollen Schwanz und ihren überlangen Händen und Beinen unglaublich behende durch das Lianen- und Buschdickicht fortbewegen. Ein vorwitziges, kleines Kerlchen ergattert durch Dreistigkeit mehrere Happen und Dipo, sichtlich verzückt von näherrückender Affenpräsenz, wird von einem Spinnenaffen, der sein Bein mit einem Baumstrunk verwechselt, fast von den Beinen gehoben. Meine anfängliche Abneigung gegen Fütterungsprozeduren verflüchtigt sich mit den Erklärungen des Führers. Das Futter entspricht den Essensgewohnheiten der wildlebenden Affen, und die Insel wird wie ein hauseigener Zoo benutzt, von Wilderern geschützt und die Affen leben trotzdem in ihrer vertrauten Umgebung.

Die folgenden Tage verbringen wir mit Dschungelwanderungen, Besuchen von Indianerfamilien, Piraña fischen und dem Kennenlernen von Überlebensstrategien und Lebensgepflogenheiten im Dschungel. Pflanzen und Früchte dienen nicht nur zur Ernaehrung, sie werden zur Heilung und für traditionelle Zeremonien genutzt. Wir halten eine Frucht in der Hand, die je nach Reifezustand zur Körpertätowierung, zum Essen oder zur Abtreibung ungewünschter Babies verwendet werden kann und kitzeln neugierige, handtellergrosse Taranteln aus ihren Verstecken. Wir kreuzen Wege mit seltenen Vogelarten und gemütlich trottenden Ameisenbären, stolpern fast über eine ruhende Anaconda auf dem Weg in den Sumpf, wo wir leise lauernde Caimane beobachten. Wir steigen in 40 Meter hohe Bäume, deren Aussicht über den dichten Dschungel uns dem Atem raubt. Ebenso gerne klettern wir wieder hinab auf den kühlen, schattenspendenden Waldboden. Dort, wo ich am allerliebsten auf einem verrottendem Baum hocke und diese unfassbare Vielfalt an Farben, Geräuschen, Düften einsauge, die hier die feuchtwarme Luft schwängern. Spuer- und sichtbar ist der Reichtum dieser Natur, die hier noch erhalten zu sein scheint. Des Nachts fahren wir auf die Lagunen und fühlen uns im Einboot sicher vor zahlreich aufleuchtenden Caimanaugenpaaren, deren aktive Jagdzeit die dunklen Nächte sind.

Beim Piraña fischen für unser Abendessen sind wir wenig erfolgreich und ziehen es vor, die Pirañas mit lustigen Lianensprüngen ins feuchte Nass zu erschrecken!

Um die totale Weisheit und Läuterung zu erhalten, verbringen wir einen Abend mit dem Dorfschamanen. Er will uns mit Hilfe von „Ayahuasca“, eines auf pflanzlicher Basis gebrauten Getränks, Sing-sang und zeremoniellen Wortfolgen auf die fünfte geistige Ebene führen. Das Ganze wird vom Schamanen mit einer Schlafeinlage bereichert, was unsererseits nicht viel zum Erfolg der angestrebten Höhenflüge beiträgt. „Cultural experience“ würde unser englischer Bikerfreund Liam dazu sagen, und wir verlassen mit leicht betretenem Gesichtsausdruck die mystisch anmutende Holzhütte. Wir sind uns darüber einig, dass der leichtübernächtigt wirkende Ayahuasca-Meister uns nicht den nötigen Rahmen für das Erreichen ebenverschiebender geistiger Zustände bieten konnte.

Gesättigt von Neuem, Schönem, Farbigem, blumenbetrachtendem Hauengenmattengeschaukel und interessanten Begegnungen verlassen wir Puerto Maldonado, um in Cusco sofort das langersehnte Paket entgegen zu nehmen! „Denkste!!!“ Es war, wie wenn wir niemals vorher telefoniert hätten. UPS sieht sich ausserstande, dieses Paket an den Empfänger zu liefern und wir bedienen uns einer Strategie, die wir anfänglich, stirntippend als ein Scherz abgetan hatten. „ Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann geht eben der Berg zum Prophet!“ Wir beschliessen eine größere Routenänderung über Lima, um den UPS- Menschen die scheinbar unüberbrückbare Arbeit abzunehmen. Mit diesem Beschluss bewundern wir einen unbeschreiblichen Sonnenuntergang, hoch über Cusco und lassen uns mit einem genusstriefenden Aufseufzer die letzten ganz besonderen Tage im bolivianischen Dschungel noch einmal durch den Kopf gehen. Das Gepäck steht bereit und Giovanni zappelt schon vor lauter Vorfreude auf die kommende Weiterfahrt.

 Petra