Die Berichte

31 | Quito in Ecuador (25.11.06) bis
Cartagena in Kolumbien (14.12.06)

Who countest the steps of the sun,
Seeking after that sweet golden clime
Where the traveller`s journey is done……
William Blake

Mitad del Mundo
Aufbruch fünf Uhr! Das Wetter erfreut uns wenig mit durchweichenden Argumenten. Es regnet in Strömen und wir sind nach wenigen Kilometern bis in die letzte Ritze nass. Bevor wir jedoch “mitad del mundo”, die Mitte der Erde erreichen, ist der Himmel wieder stahlblau. Hier in Central-Ecuador  haben wir das Wetter oft so erlebt. Die Regenschauer sind kurz, kühl und heftig, und die Sonne so kräftig, dass alles schnell wieder trocknet.
So also sieht die Mitte der Erde aus ! Ein Obelisk, viele Meter spitz aufragend in Ecuadors Himmel, mit einer weissen Linie, die uns feierlich von der südlichen zur nördlichen Hemisphaere schreiten laesst!
Ein erhabenes Gefühl durchläuft mich, als mir so bewusst wird wie viele Kilometer , Erlebnisse, Kulturen und Begegnungen hinter uns liegen. Wie viel Abenteuer und Eindrücke passen in eine Seele? Kann das was wir gesehen, erlebt und gemacht haben noch mehr angereichert, vergrössert, getoppt werden? Übervoll und verwöhnt komm ich mir vor. Privilegiert und unendlich zufrieden. Wäre das das Ende unserer Reise, so würde das mit meinem  Erleben und Gefühl übereinstimmen!

Wir stehen jedoch im Mitt-Punkt unserer Reise, unseres Traums, sind Träume messbar!!! Also weiter geht’s ! "Al norte Corazon", ab nun in der nördlichen Hemisphäre! Nur noch kurz pedalen wir auf der Süd-Erdhälfte, nämlich auf dem Weg zum Flughafen von Quito.

Kolumbien
Viele Argumente sprechen gegen Kolumbien und eben so viele dafür. Also entscheiden wir uns für einen Mittelweg.
Um die nicht eingeplante Reisezeit durch Kolumbien zu verkürzen, überfliegen wir den ersten Teil des Landes, da dieser besonders verschrien wird für Überfälle, Entführungen und Guerillaprobleme. Wir starten nach kurzem Aufenthalt in der Hauptstadt Bogota und weil es Sonntag ist über die“ Ciclovia“ die jeweils sonntags für den Autoverkehr gesperrt und Velofahrern und anderen Freizeitsportlern zur Verfügung gestellt wird. Vorbei an Fruchtständen, Fittness-Latin-Dance-Massen-Veranstaltungen und fröhlich winkenden und jubelnden Kolumbianern verlassen wir die Stadt in Richtung Norden. Wir fühlen uns wie ins Ziel einlaufende Marathonfahrer und geniessen die unverholene Neugier , Freundlichkeit und die vielen Fragen uns überholender, top ausgerüsteter „Ciclistas“! Jimmy, ein Mountainbiker, stellt sich vor, bleibt bei uns, und begleitet uns weg von der autofreien Strasse raus aus der Millionenstadt. Wir freuen uns sehr darüber und düsen auf der verkehrsreichen Strasse  in Richtung Zipaquira, was unser Tagesziel sein sollte.

Die Salzkathedrale von Zipaquira
Abends erreichen wir das Dorf, das weltbekannt ist durch eine unglaubliche Sehenswürdigkeit! Oberhalb des Dorfes befindet sich eine Kirche der besonderen Art. Vierzehn Kreuze kennzeichnen die zum Gebetsgang umgestaltete Salzmine. Mystisch, dunkel erscheinen mir die Wände und Boden aus Salz. Das Herz der Riesenkathedrale ist ein ungewöhnliches Mittelschiff, getrennt durch mächtige Salzsäulen, die sich in der Salzhöhle zu verlieren scheinen. Dort sind Geburt, Leben und Tod symbolisch dargestellt.

Schade nur, dass Menschenmassen dazu neigen, laut und unmystisch zu sein. So verlassen wir leicht übersäuert durch unflätiges Besucher-Gequake den Ort der "Stille und Besinnung"

Finster ist es, als wir unser Hotel finden und mit ihm einen "alten" Bekannten, Alain, der Schweizer "Ciclista", den wir in Argentinien kennengelernt haben.

Die nächsten Tage fahren wir zu viert weiter. Alain fährt in Begleitung von Tanja einer deutschen Radreisenden und unsere Reiseroute durch Kolumbien ist in etwa die gleiche. Wir fahren in den kommenden zwei Wochen täglich mehr als 100 Kilometer und rollen in Hoechsttempo durch die auf der Strecke liegenden Dörfchen. Tagesslogan: "Push on North!" Der Popo schmerzt, das Wetter ist heiss mit wenig erfrischenden aber heftigen Regenschauern dazwischen. Eine wohltuende Tagesbeschäftigung von uns ist es, alle paar Kilometer einen Boxenstop an einer der zahlreichen Fruchtstände zu machen, um einen herrlichen, frisch gepressten Fruchtsaft in uns hinein zu schütten. Das Wissen darüber, dass der nächste Stand nicht lange auf sich warten lässt, treibt uns weiter. 

 Die Landschaft ist grün und üppig, anmutend hügelig oder energieraubend bergig bis hin zu der immer flacher werdenden Küstengegend. Einmal die Cordilliera hinter uns gelassen, freuen wir uns auf die Karibik. Kolumbien ist auf der ganzen Ebene eine positive Überraschung. Die Landschaft ist hinreissend, die Menschen entzückend und erfrischend aufgeschlossen. Gastfreundlich, neugierig und lieb werden wir in den Dörfern begrüsst, eingekreist, belagert und ausgefragt oder fröhlich winkend mit Zurufen wie "que vaya bien" machts gut oder " bienvenidos en Colombia!" Willkommen in Columbien verabschiedet. Oft werden wir nur aus Neugierde oder Langeweile an den in wenigen Kilometern auseinanderliegenden Militärkontrollen angehalten und ausgefragt. Nie fehlt die Frage: "Was denkst du über Kolumbien?" . Tagesanekdote: Bei einem Pipistopp kurz vor einem Militärposten lege ich meine Handschuhe lose aufs Velo (ja, Paps, ich weiss, das ist wie Handschuhe aufs Autodach legen - tu das nur, wenn du sie nie mehr brauchst...!). Also, natürlich fahr ich einfach los. Am Posten vorbei fallen sie und ich vernehme vermeintliche Grussworte. Ich winke zurück und fahre weiter. Einige Kilometer später stelle ich den Verlust fest. Als ich mich dem Posten, diesmal von Norden, nähere, sehe ich den jungen Soldaten lachend mit behandschuhten Händen winken. "Hab dir doch gerufen, aber du hast nur gelächelt und gewinkt!", sagt er und gibt mir die Handschuhe zurück.

Gleicher Tag, einige Stunden später: Plattfuss! Dipo hat einen fetten Dorn im Hinterrad und das macht ihn einen Moment unlustig. Beim Flickstop bemerken wir den Verlust des Helmes. Der noch saurere Dipo und ich kehren um. Ein Militärposten : "Oh ja, der Helm lag da, hab ihn einem weissen Pickup mitgegeben, damit er ihn euch gibt!" Dipo, nun richtig wütend, glaubt eher, dass der Soldat ihn seinem kleinen Bruder heimgeschickt hat. Vor sich hinbrütend und grummelnd rollen wir beim nächsten Posten vorbei, wo auch schon ein getarnter Uniformierter auf die Strasse hüpft, in der Hand das geliebte, alte Teil. "Ein Pickupfahrer meinte, er hätte euch wohl übersehen und hat ihn mir dagelassen!". Zum Dank schenken wir den Soldaten eine Flasche Rum, ruhig drücken wir uns die Hände und freuen uns über diese nicht selbstverständliche Ehrlichkeit "hoch drei". Der Tag ist gerettet und diese Situation prägt uns nachhaltig.

Zum Nikolaustag erblicken wir die Karibik Ein neuer Meilenstein, wie die Anden zu verlassen, die Äquatorlinie zu überrollen oder mit der Karibik das Nordende Südamerikas zu erreichen. Wir machen einen Abstecher nach Sta Marta, um unsere Füsse in die Fluten zu tauchen und meine Hand in einen Hotelventilator zu stecken. Die Hand ist noch dran aber mein Daumen ist um eine fette Narbe reicher, da ich mich natürlich stur wie immer, nicht von Dipo in irgend ein „puesto de Salud“ schleifen lasse. Da dort meiner Meinung nach die Wunde vorher zuwächst, als dass es zur Behandlung kommt.

 Dann verlassen wir die Stadt über einen kleinen, steilen Seitenweg Richtung Westen. Wir rollen nach Barrnaquilla, eine hässliche Hafenstadt mit freundlichen und anderen Bewohnern. Mehrfach werden wir aus fahrenden Autos heraus gewarnt, wieder mal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Nach einer Odyssee durch heruntergekommene Stadtviertel finden wir eine vergitterte Oase zum Übernachten.

Wir wollen nach Cartagena, denn dort liegen Boote vor Anker, die nach Panama schippern. Dazwischen liegt ein heisser Küstenabschnitt mit Weide-, Sumpfland  oder herrlichen Mangrovenwäldern. Jeder von uns hat 7 Liter Wasser gebunkert, was wir auf den nächsten einsamen Küstenkilometern schlucken, als wenn wir die Sahara durchwandern würden. Heisser Wind bläst uns ins Gesicht und nicht eine einzige Behausung, deren Bewohner wir um Wasser bitten könnten.

Die Einfahrt nach Cartagena ist einfach. Wir radeln den hohen Fortmauern entlang und finden ein lustiges Hotel mit dichtem Dschungel-Innenhof inmitten der Altstadt unweit des Jachthafens. Mit den kolonialen Häusern und dem geschmackvoll restaurierten, historischen Zentrum fasziniert mich die Stadt auf Anhieb. Sie trieft vor Geschichte und die Geister einstiger Piraten scheinen noch durch die Gassen zu irren.

Als wir am Sonntagnachmittag nichtsahnend durch unbelebte Strassen schlendern, machen wir Bekanntschaft mit zwei übrig gebliebenen Freibeutern. Wie aus dem Nichts schneidet uns ein Motorrad den Weg ab, und wir werden mit vorgehaltenem Revolver unsanft um unsere Kamera gebeten:" Dame tu Bolsa!" er fuchtelt mit der Pistole und reisst an der Kameratasche, die um mein Handgelenk gebunden ist. "No! Vete!", ich reisse auch. Dipo schreit mich an: "Gib ihm die verdammte Kamera, der hat ne Knarre!". "Nein, da sind alle Bilder drauf!". "Lass los!". Ich lass los, der behelmte Typ steigt hinter seinem Kumpel aufs Motorrad und mit auf uns gerichtetem Revolver brausen sie durch die engen Gassen davon. Wir rennen hinterher, sie verschwinden im Gewirr der Strassen. Entäuscht und beschämt über dummen Widerstand, der unser beiden Leben aufs Spiel gesetzt hat, stehe ich da. "Sie töten für weniger!", hören wir von jedem, der unsere Geschichte hört. Wenige können unsere Wut teilen und nach einigen Stunden ist auch unsere Wut Erleichterung gewichen. Objektiv betrachtet haben wir eine abenteuergeprüfte, aber angeschlagene Digitalkamera verloren. Es fehlen alle Bilder von Kolumbien und die ach so wichtigen äquatorial-mitad del mundo-Bilder! "Na und!" Das verändert oder zerstört nicht unser Leben, wie eine einzige Kugel aus einem Schwarzmarktrevolver! Überzeugt, von unserem Glück nicht im Stich gelassen worden zu sein, finden wir ein französisches Ehepaar, die uns auf ihrem Segelboot nach Panama mitnimmt.