La Paz mit seiner unglaublichen Lage und Stimmung lassen wir angemessen auf uns wirken! Das Spezielle wird darin unterstützt, dass weil wir von Süden kommen, die Stadt uns bei der Einfahrt im wahrsten Sinne des Wortes zu Füssen liegt. Wir donnern nach ausgiebigem Ausblick über die Stadt im Hoechsttempo mitten ins Getümmel. Unser Hotel liegt mitten im Zentrum zwischen Souvenirläden, Kirche San Francisco und dem Hexenmarkt. Wir fühlen uns also gut aufgehoben und hören von unserem Zimmer mit Blick über das Stadtzentrum den Pulsschlag dieser quirligen Metropole! In der Umgebung von La Paz gibt es die "gefährlichste Strasse der Welt", die man praktischerweise mit dem Fahrrad hinunterdüsen kann. Da ich schon immer mal Fahrrad fahren wollte und mir das Abenteuer im tagtäglichen Leben fehlt, beschliesse ich, diese halsbrecherische Fahrt von 4700 m auf 1900 m in einer Gruppe von Touristen zu geniessen! Du hörst nun einen etwas ironischen Unterton, diesen hab ich dann am nächsten Tag jedoch abgelegt. Mit dem Jeep, vollbeladen mit professionellen, vollgefederten Mountainbikes geht es zunächst zum Ausgangspunkt. Dieser fast 70 km lange Downhill zwischen einer senkrechten Felswand und einem hunderte Meter tiefen Abgrund ist wirklich beeindruckend. Da wir drei erstaunlich professionelle und sportliche Guides haben, verläuft die Abfahrt rasant und halsbrecherisch, genau nach meinem Geschmack! Ehrlich, die Strasse ist wirklich kriminell, für Biker allerdings nur, wenn ein Lastwagen entgegenkommt oder die Bremsen versagen. Da die Strasse nur wenige Meter breit ist und keinerlei Sicherheitsvorkehrungen wie Zäune oder Absperrungen angebracht sind, verläuft die Begegnung zweier grosser Fahrzeuge nervenaufreibend und verpasst das Abrutschen meist nur um Haaresbreite. Unsere Abfahrt können wir erstaunlicherweise ohne regen Gegenverkehr geniessen. Einige Kilometer weiter erfahren wir auch, warum: Die Strasse ist blockiert von einem Kranwagen, der den vor zwei Wochen abgestürzte Touristenbus birgt. Der neun Jahre alte Sohn des Chauffeurs, einer der zwei überlebenden, berichtete spaeter, dass er, bevor er aus der offenen Tür sprang, seinen eingeschlafenen Vater vergeblich versucht hatte, zu wecken! Ich wundere mich über die ausgeschlachtete Buskabine, die während wir unsere Räder durch die gaffende Menge schieben, über der Strassenkante schwebt. Unser Guide, der am Unfalltag half, Tote und Verletzte zu bergen, meinte:“ Die letzten zwei Wochen haben viele Einheimische hier gecampt, haben Stück für Stück alles Brauchbare aus dem Bus geholt und abmontiert. Für die Räder, Innenausstattung und Motorenteile bekommen sie auf dem Automarkt viel Geld!“ Auf mein erschrockenes Gesicht hin sagt er: "Es kommt auch nicht selten vor, dass die Verletzten oder Verstorbenen geplündert und ausgeraubt werden, anstatt erste Hilfe zu bekommen. Kürzlich hatten wir den Fall auf dieser Strecke, dass ein junger Tourist, der tödlich verunfallte, zwei Monate nicht identifiziert werden konnte, weil seine Papiere mitsamt seiner ganzen Habe am Unfallort gestohlen wurde. Müde und durchgerüttelt dürfen wir uns unten, nach einem kühlen Getränk und einem Verwöhnessen, in den Jeep setzen und werden uns auf der Rückfahrt noch mal der langen, landschaftlich wundervollen Strecke und vor Allem der engen, gefährlichen Kurven bewusst. Ehrenamtliche Helfer, meist Angehörige von Unfallopfern, geben mit grünen und roten, selbstgebastelten Flaggen die Kurven frei. Gerne gibt jeder Vorbeifahrende einige Centavos, Wasser, Früchte oder Brot! Spät nachts, zurück im Hotel, erzähle ich Dipo noch lange von meinem abenteuerlichen Tag und vor lauter Erzählen, wie toll doch Biken sein kann, beschliessen wir, am nächsten Tag, weiterzufahren. Einmal vom Stadtzentrum wieder auf 4000 m angelangt, können wir auf der Hochebene genüsslich Richtung Titicacasee dahinradeln. Ein Besonderes Erlebnis, da der Streik in und um La Paz zur Folge hat, dass sämtlicher Verkehr mit Ausnahme von Velofahrern und Fußgängern lahmgelegt ist. Welch Geschenk für uns! An den Blockaden aus Steinbrocken und brennenden Autoreifen lassen die Bolivianer uns unbehelligt passieren, obwohl der Alkoholpegel steigt und manch aufhetzerische Gringoparole fällt. Auf dieser Hochebene sehen wir nach 70 km den Titicacasee, riesengross, mit zahlreichen kleinen Inseln, liegt er vor uns. Das Ufer besteht vorwiegend aus "Totora" (Schilfgras) was dem See einen besonderen Liebreiz verleiht. Ich liebe Wasser und gerne würde ich stehen bleiben und den herrlichen Anblick in mir aufsaugen. An einem kleinen Museum, direkt am See, entdecken wir einen alten Herrn bei der Arbeit. Bereitwillig zeigt uns Paulino Esteban, Hersteller von traditionellen Totorabooten, einige seiner Werke und fährt uns auf den See hinaus, damit wir uns von der Seetüchtigkeit seiner Boote überzeugen können. Er baut an einem Boot acht Tage, welches ihn dann ein Jahr durch den stürmischen See trägt. Er erzählt vom Bau der Boote für den weltberühmten Forscher Thor Heyerdal, seiner Freundschaft zu ihm und zeigt uns stolz sein Museum, zahlreiche Fotos von Besuchern, unter ihnen auch Altbundespraesident Weizsaecker. Ganze Fotoalben zeugen davon, dass sein einmaliges Wissen vom Totoraschiffsbau auf der ganzen Welt geschätzt wird. Eine lebende Legende des Titicacasees. Am Abend finden wir ein quasi stillgelegtes Hotel, das herrlich anmutend, jedoch reichlich heruntergekommen, verglast wie ein verwittertes Gewächshaus, am Ufer des Sees liegt. In diesem stillgelegten Relikt, wo sich wahrscheinlich der Schlüsselaufbewahrer etwas "Extrageld" ergaunert, verbringen wir eine geisterhaft ruhige Nacht und freuen uns darauf, am nächsten Tag Copacabana, den letzten Ort vor der peruanischen Grenze, zu erreichen. Wir strampeln am hügeligen Ufer dieses höchstgelegenen schiffbaren Sees zwischen 3700 und 4200m auf und ab und nehmen nach einer entspannenden Abfahrt eine kleine Fähre von San Pablo nach San Pedro (oder umgekehrt?), um dort mit einem toten Fisch im Bauch wieder auf 4100 m hochzuklettern. Diesen Fisch verdrücken wir mit Hochgenuss bei der alten "Hafen-Mamita", die ihn "natürlich vor zehn Minuten aus dem Wasser gezogen hat", was wir ihr auch lächelnd glauben. Zuweilen scheint uns das dauernde "Spiel" mit gesagtem Wahren oder Unwahrem sehr anstrengend und an anderen Tagen entlockt es uns ein verschmitztes Lächeln und nimmt dem Tag und den Geschehnissen seine Wichtigkeit! Kurz vor einem atemberaubenden Sonnenuntergang erreichen wir Copacabana mit seinen vorgelagerten Inseln "Isla de la Luna" und "Isla del Sol". Mit offenem Mund stehen wir in Strandnähe dieses kleinen, ruhigen Ortes und werden von einem wiefen Jungen angesprochen, der mit "den besten Hotels zusammenarbeitet" und uns beim geeignetsten mit persönlichen Empfehlungen abliefern will. Der elfjährige Gentleman lässt es sich nicht nehmen, mein Rad den steilen Anstieg zum Hotel schieben zu wollen. Was er dann allerdings abbrechen muss, da er uns rennenderweise an der vollbesetzten Rezeption anmelden will, um unnötige Wartezeit zu vermeiden. Reichlich amüsiert über dieses kecke Kerlchen schlendern wir zum Hoteleingang, wo die Besitzerin schon über ihren übereifrigen "Aussendienstmitarbeiter" die Augen rollt. Dieser steht bereits mit einer meiner Taschen auf der Treppe, um auch sicherzustellen, dass uns ganz bestimmt das beste Zimmer zugewiesen wird. Glücklich und mit "propina" bestückt verlässt uns unser hartnäckiger Reiseführer, nachdem wir mit Mühe verhindert hatten, von ihm sogleich ins "beste Restaurant der Stadt" geschleift zu werden. Seit wir am Titicacasee sind, fällt mir auf, dass die Menschen aktiver, freundlicher und glücklicher wirken. Sie scheinen ihrem Leben und ihren Aufgaben Aufmerksamkeit zu schenken und werden nicht allzu sehr abgelenkt von vorbeiradelnden „Estranjeras“. Am nächsten Morgen fahren wir mit einem Boot ans Nordende der „Isla del Sol“. Es gefällt mir auf Anhieb. Einige wenige Häuser säumen den Sandstrand und die Einheimischen hocken friedlich beisammen und flicken ihre zerschlissenen Netze. Wir wollen von Nord nach Süd die Insel durchqueren, schauen uns aber erst noch die nach der Inkalegende dort gelegene Geburtstätte von Sonne und Mond an, dem Ursprung des Inkareiches. Diese Wanderung ist herrlich und wir unterhalten uns prächtig mit Lisa und Simon aus England, die seit dreieinhalb Jahren mit dem Motorrad um die Welt reisen. Zugunsten eines gemeinsamen Abends verlängern wir unseren Aufenthalt auf der Insel, um uns noch einige der Abenteuer der Beiden anzuhören. Der Streik von La Paz hat sich bis zur Grenze ausgeweitet und viele Touristen, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind, sitzen hier einige Tage fest.
Petra
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