Die Berichte

Piura (24.10.) - Quito (08.11.06)

"Bienvenidos en Ecuador" wiederholt der Zollbeamte die Worte auf der bandera, die über der Strasse hängt und knallt uns geräuschvoll den Stempel in den Pass.

Ecuador, ein kleines Land, klein genug, um mit den Affen im Dschungel zu frühstücken, das Mittagessen mit Blick auf den schneebedeckten Chimborazo einzunehmen, den Fuenf-uhr-tee in der Hängematte am Pazifik zu schlürfen und beim Abendessen den zufriedenen Seehunden und Blaufußtölpeln zu lauschen. Ein Land, auf das wir uns freuen, nicht nur um die Veränderung gegenüber meinem letzten Besuch vor 15 Jahren zu sehen, sondern auch, um alte Freunde wiederzutreffen und entfernte Verwandte von Dipo kennenzulernen. Und nicht zuletzt, weil wir hinter Quito, der Hauptstadt von Ecuador, den "mitad del mundo" überrollen werden und somit auch die Mitte unserer Reiseroute erreichen. Den Äquator mit dem Rad überqueren hat doch was, oder?

Erst mal gilt es einige Pässe zu übersteigen. Unser erstes Ziel ist Loja. Die Strecke ist anspruchsvoll, die Tage der 150 km Leistungen sind also erst mal vorbei. Die Strecke ist ein endloses Auf und Ab auf einer guten Asphaltstrasse. Nach 160 km erreichen wir Loja und drei Tage später und um 4545 Höhenmeter reicher, fahren wir bei strömendem Regen in Cuenca ein. Cuenca liegt im südlichen Hochland auf 2530 m. Sie ist eine kulturell interessante Stadt mit den schönst erhaltenen Kolonialhäusern, den blumigsten Plazas und ausgeklügeltes Kunsthandwerk kann man hier für wenig Geld ergattern. Die Innenstadt ist steingepflastert und beschert uns mit unseren schwerbepackten Rädern, zum Amüsement der Cuencanier, eine ordentliche Rutschpartie. Was mir auffällt ist, dass es mehr Privatautos gibt und der Verkehr etwas vernünftiger und rücksichtsvoller vonstatten geht. Wir werden plötzlich von Autofahrern vorgewunken, Blinker werden benutzt und anstatt der ohrenbetäubenden Hupen hören wir öfters mal die Bremsen quietschen.

Cuenca lädt zum Verweilen ein, ich fühle mich wie ein Kind, das es nicht erwarten kann, alles zu sehen. "Schau mal! Guck mal! Wauuu... ist das schön!!!" Wir nehmen uns einen Tag Zeit und Dipo hört sich augenrollend meine begeisterten Ausrufe über Bauten, verschnörkelte Architektur, monströse Kirchen und liebliche Plazas an. Das Klima ist frühlingshaft, angenehm warm in der Sonne, kühl nachts und ziemlich triefend bei Regenschauern, die nachmittags für zwei bis drei Stunden einsetzen. Wir radeln trotz des Regens, denn wir wollen am Dienstag Alausi erreichen! Dieses Auf und Ab zehrt an meiner Geduld. Immer wenn ich glaube, oben zu sein, geht es um die Kurve und wir erblicken den nächsten Hügel oder das nächste Tal, was uns auf 1700 Meter runterbringt, nur um wieder auf 3300 m hochzukurbeln. Der Wille ist stärker als der Frust, denn das Ziel verspricht eine gemütliche, erholsame Zugfahrt von Alausi nach Riobamba!

Um 8.30h gibt es die Zugbillette zu kaufen. Ich steh natürlich als erste da. Es sollte noch 2.5 Stunden dauern, bis wir stolze Besitzer von zwei Erste Klasse Fahrkarten fürs Zugdach des Güterwagens in die "Nariz del Diablo" sind. "Wir wollen aber nach Riobamba!" -Ja Ja, tranquila! Der Zug fährt zur Teufelsnase, dann wieder hierher zurück und dann hast du noch genug Zeit, das Ticket nach Riobamba zu kaufen!" -"Und du bist dann da?" - "Selbstverständlich, das ist mein Job!" - "Aha!"(so, nachdem wir 2.5 Stunden auf ihn gewartet haben). "Wann faehrt denn der Zug?" - "Wie immer um elf!" - "Aha!".

Nach hundert Runden um die zahlreichen Souvenirstände, Ankünften von etlichen Busunternehmen, die kissenbestückte Rentner ausspucken und vielen Erklärungen an Backpacker, die seit 9 Uhr auf die quietschende Einfahrt der Touristenattraktion warten, sitzen wir also um 12.30h Popo an Popo auf dem Zugdach. Die Strecke zum Nariz del Diablo ist der letzte und spektakulärste erhaltene Teil der Linie Quito - Guayaquil.

Froh, wieder in Alausi zu sein und glücklich, den davonziehenden Bustouris nachblickend, hopse ich vom Zugdach und während Dipo die Räder im Waggon verstaut, suche ich vergeblich nach dem Fahrscheinverkäufer.

Die Fahrt nach Riobamba ersetzt uns dann die kleine Enttäuschung über das überfüllte Zugdach zur Teufelsnase. Die Zugbesatzung, zwei australische Piloten, ein Didgeridoo spielender Amerikaner, Dipo und ich geniessen eine wunderschöne, landschaftlich fantastische Dachfahrt in den Sonnenuntergang über Riobamba. Verzückt betrachte ich den in dunklen Wolken liegenden Chimborazo, der 6315 m hoch über der Stadt thront. Gerade hecke ich aus, wie ich Dipo motivieren könnte, auf dieses Monster zu steigen. Beim letzten Besuch war ich auf dem Cotopaxi, der mit seinen 5000 und irgendwas den Ruf des höchst gelegenen aktiven Vulkans der Erde geniesst. Tatsächlich braucht es nicht viele Worte. Als ich mit den Infos über den Aufstieg aufwarte und wir am nächsten Morgen freien Blick auf den Gipfel genießen, hocken wir drei Stunden später mit unserem Führer Paco im Jeep. Bestückt mit altersschwachen Steigeisen, tonnenschweren Bergschuhen, zerrissenen Hosen und verrosteten

Eispickel schreiten wir zum zweiten Refugio auf 5000 m. Mit höhenbedingtem Herzklopfen und überfülltem Bauch legen wir uns dort ins Bett! Auffi gehts! Um 23 Uhr bei sternklarem Himmel und Vollmond. Eine Traumnacht! Das Wetter ist Glücksache, dasshalb musste auch alles schnell gehen. Die Folgen des "Nichtakklimatisierens" sollte ich schon bald kennenlernen. Alles geht gut, keine Beschwerden, der Puls rast im Normaltempo und die Laune entspricht dem Wetter. Wir lassen das Geröllfeld hinter uns und steigen in den Gletscher ein. Leider haben wir normale Wasserflaschen dabei, das Wasser friert steinbein ein und wir gewohnte "Vielwassersäufer" lechzen ab 5700 Meter nach Flüssigkeit. Paco meint: "Also ich geh hier immer ohne Wasser hoch!". Na, der muss es ja wissen! Ich übergebe mich das erste von sechs Mal in den folgenden 400 m. Mein Tempo lässt nach, immer öfters frage ich nach einer Pause. Ich sehe den Gipfel, die Zeit drängt, meine kalten Füße versinken im Neuschnee, meine Lippen sind blau, die Augen liegen tief in ihren Höhlen und flimmern glasig! "Ich brauche Wasser, Dipo!"- wieder übergebe ich mich. "Ich will da hoch, aber ich weiss, es ist unvernünftig!". Dipo spricht ein Machtwort: "Schluss jetzt! Wir sind höher als 6000m , wir waren noch nie so hoch oben und haben eine Aussicht über ganz Ecuador! Du siehst aus, wie aus dem Pferdearsch gezogen und kotzt dir die Seele aus dem Leib. Wir haben kein Wasser und ich pfeife auf den Gipfel! Lass uns absteigen!". Traurig lasse ich mich von Dipo in die Arme nehmen und es steigt doch ein Fünkchen Stolz über das Erreichte auf. Nicht ohne einen letzten wehmütigen Blick auf den zum Greifen nahen Gipfel zu werfen, drehen wir schweren Herzens um. Der Abstieg erweist sich als mühsam und langwierig. Dank jackengewärmten Tauwassers geht es mir Meter für Meter besser, Dipo im Austausch dagegen immer schlechter. Die Dehydration macht sich nun bei ihm breit und er pflastert nun unseren Weg mit Pizza, Kaffee und halbverdautem Gemüse. Gefährliche Eispassagen sichert der Führer kompetent ab, und wir erreichen nach vielen Stunden das Refugio, wo wir erst mal literweise Tee trinken und die ersten 6000 Meter feiern!

Tags darauf sind wir wieder ganz die "Alten" und fahren in den nächsten zweieinhalb Tagen bis nach Quito. Quito besticht durch eine herrliche Altstadt mit vielen neu restaurierten Kolonialhäusern, reich bestückten Kirchen, interessanten Museen und und und....es gibt unwahrscheinlich viel zu sehen. Unsere Aufmerksamkeit gilt aber erst mal, eine Reise nach Galapagos zu buchen und Freunde und Verwandte aufzuspüren.

Bald schon sitzen wir im gemütlichen Esszimmer einer sympathischen ecuadorianisch - deutschen Familie, die, wie sich herausstellt, über Dipos Mama über sieben Ecken verwandt ist. Photos, Stammbäume, Erinnerungen und viele tolle Geschichten werden bei Cebiche und Reis, einer typisch ecuadorianischen Spezialität, ausgetauscht. Die fünfjährige Tochter Viktoria erinnert uns vage an Lea, Dipos Nichte und Orthia spricht, obwohl sie in Ecuador aufgewachsen ist, exzellentes Deutsch! Nach einem gemütlichen Nachmittag, wo wir ausgiebig ihre Gastfreundschaft gekostet haben, bringen sie uns zurück zum Hotel, wo uns zwei schlechte Nachrichten erwarten. Ein kolumbianischer Bikereisender, der ebenso wie wir von Feuerland bis Kolumbien unterwegs war, ist unerwartet mit nur 27 Jahren an einer Peritonitis gestorben. Ebenso mein langjähriger Freund Christian, den ich vor 15 Jahren in Quito kennengelernt habe, auf dessen Wiedersehen ich mich sehr gefreut habe, ist leider an einer sehr  aggressiven Krebserkrankung verstorben. Wieder einmal wird uns bewusst, was für ein Geschenk Gesundheit ist und wie wichtig es ist, seine Träume dann zu leben, wenn sie aufkommen und Momente mit ihrer ganzen Intensität zu leben und anzunehmen. Den Abend verbringen wir mit Kurt, einem anderen Freund von mir und Christian. Wir tauschen Erinnerungen aus an die Zeit in Ecuador, erzählen von durchtanzten Salsanächten und lustigen Erlebnissen mit Christian, der ein ausgesprochener Lebemann war.

Petra