OREGON 2. Mai - 10. Mai Wettertechnisch gibt es hier zwei Optionen: Gutes Wetter mit gnadenlosem Nordwester, 45 Grad von vorn genau uns in die Fresse. Oder von hinten mit Regenfällen, die mich an eine Autowaschanlage erinnern. Wir haben beides, diese Bedingungen entlocken uns aber nur ein müdes Lächeln, schließlich gibt es exakt alle 25 Meilen (diese Distanz entsprach einer Tagesreise mit der Kutsche) schmucke kleine Ortschaften mit Laundromat, Cafe und Eisdiele. Manchmal gönnen wir uns auch ein Motelzimmer (mit TV und Mikrowelle) schauen die ganze Nacht fern, futtern Chips und Pizza. Immer und immer wieder werden wir eingeladen. Die Lobeshymnen auf die Freundlichkeit der Amerikaner muss schon schmalzig wirken, aber wir werden herumgereicht! Geoff, der ein schickes Hotel in Pacific City betreibt, überlässt uns eine Suite, wie wir sie auf der ganzen Reise noch nie hatten. Flauschige Frottiertücher, 74 Fernsehkanäle und eine sonnige Terrasse! Alle aufzuzählen, die uns helfen, wäre zu viel. Auf die Gefahr hin, kitschig zu sein, möchte ich mit Gewissheit sagen: Die Menschen sind gut! Wir gewinnen mit der Zeit immer mehr Zuversicht, planen immer weniger, sondern lassen und treiben und landen immer wieder bei netten Menschen im Garten beim Barbecue oder so... Natürlich wollen alle auch teilhaben an unseren Erlebnissen, manchmal sind wir müde vom vielen Erzählen, immer wieder, manchmal wird’s zuviel. Atemberaubend zieht die Kulisse in langen Tagesetappen an uns vorbei. 500 Fuß hoch, Klippen, schiefgeblasene Bäume, windgepeitschte See und wieder runter auf Null, den ganzen Tag. Dieses Spiel geht immer weiter, manchmal 1500 Höhenmeter am Tag. Aufstehen, Kaffee kochen, das nasse Zelt einpacken, das Rad satteln und los, 120 km gegen den Wind. Da werden Kleinigkeiten zu Glanzlichtern. Ein heißer Kaffee im Windschatten eines Tankstellengebäudes oder ein dampfender Topf Nudeln abends im Schlafsack. In einer Woche haben wir den ganzen Bundesstaat durchquert. Es bleiben Bilder im Kopf, die durch die rauen Verhältnisse nur noch verstärkt werden. Wind, Wellen, Einsamkeit und naturverbundene Menschen und wieder mal nur ein Augenblick, den wir auf dieses Riesenland werfen dürfen. "Mann, nimmt das denn überhaupt kein Ende?", ich torkele mit meinen 130 Kilo (inkl. Rad!) zwischen donnernden LKW und der Leitplanke hin und her. Wir befinden uns auf der 7 (oder 70?) Kilometer langen Astoria Bridge über den Columbia River, der die Grenze zu Washington markiert. Wir wollen auf der anderen Seite zum Cape Disappointment (dt.: Kap der schlechten Hoffnung oder so), um uns davon zu überzeugen, ob es dort wirklich nichts zu sehen gibt. Das Gegenteil ist der Fall, denn dieser Punkt (benannt nach einem Segler, der ums Verrecken die Einfahrt nicht gefunden hat), hat historische Bedeutung: Er war Ziel und Wendepunkt der legendären Reise von Lewis und Clark, die von Thomas Jefferson Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Reise geschickt wurden, auf dem Landweg den Pazifik zu erreichen. Den Missouri hoch, über die Rocky Mountains, dann nach langem Suchen den Columbia River runter. Ein Himmelfahrtskommando durch völlig unbekanntes Terrain. In einem hervorragenden Museum erlebt der Besucher die gesamte Reise noch mal mit. Tagebücher, präzise Landvermessungen und unzählige Pflanzen und Tierarten, bis dato (dem Europäer) unbekannt, haben die Forscher mitgebracht. Wenn die Indianer ihnen nicht zigmal das Leben gerettet hätten, wäre von ihnen nichts geblieben als ein paar staubige Gerippe in der Sierra. Wahre Humanisten und Menschenfreunde, der Wissenschaft verpflichtet und in bestem Wissen und Gewissen waren sie doch die Speerspitze des darauffolgenden großen Trecks gen Westen. Der endgültige Untergang der Ureinwohner war vorprogrammiert! Dennoch eine Glanzleistung, witzigerweise haben die Jungs 18 Monate gebraucht, so wie wir. Nur gab es damals weder Strassen, Kreditkarten oder Eisdielen. Hut ab! dipo WASHINGTON 11.May - 15.May Wir sind also in Washington (Nein! Das ist nicht da , wo jetzt "auf den Bush geklopft" wird. Das weiße Haus ist in Washington D.C. an der Ostküste!). Was gibt’s da so? Seattle mit Boeing, ein Haufen Hippies und es regnet immerzu! Wir rollen also über hügeliges Farmland, wo Gras nicht nur für die Kühe angebaut wird und genießen die Frühlingssonne. Links und rechts da steht der Ginster und die Vöglein zwitschern. Wir halten uns rechts der Olympic Mountains, ein Blick auf die Wetterkarte lässt uns die Route rechts des Gebirgsmassivs gleich mal abschminken, denn dort regnet es praktisch permanent. 140 Inches, keine Ahnung, wie viel das ist aber es klingt verdammt nass! Wir schleichen uns lieber entlang dem Hood Kanal, herrliche State Parks und hübsche, malerische Dörfchen mit allen Annehmlichkeiten. Wir halten an einem kleinen Fischerhafen und kaufen für nen Appel und ein Ei ein Dutzend Austern. Natürlich werden wir vom freundlichen Muschelfachverkäufer erst mal über Haftungsausschluss und Risiken aufgeklärt. "Ach was! Wir haben ganz Südamerika mit dem Fraß überlebt!" grölen wir und schlabbern draußen auf der Wiese den Eiweiß - Powerfood. "Das gibt richtig Druck aufs Pedal!" Von Port Townsend setzen wir über nach Whidbey Island, eine der San Juan Inseln, die in der Vergangenheit gerne als Versteck von kriegsdienstunwilligen Hippies genutzt wurde. "Anstatt hier blond rumzukiffen, sollen die lieber mal ein paar Schilder aufstellen!" maulen wir und fahren erst mal schön im Kreis. Hier ist die Zeit stehengeblieben, jede Insel auf der Welt hat doch ihren ganz besonderen Charme. Und so auch ihre Bewohner. Wir haben einige Begegnungen der dritten Art, so auch mit Chris. Er verfolgt uns mit seinen zwei Kindern bis auf den Zeltplatz und zerrt uns am nächsten Morgen in die Grundschule, mitten in den Unterricht. Bestimmt sollen wir den Kindern unsere Botschaft vermitteln: "Macht, was ihr wollt! Glaubt bloß nicht alles, was die Erwachsenen Euch erzählen! Folgt unserem leuchtenden Beispiel und fahrt unsinnig in der Weltgeschichte rum, anstatt daheim die Wirtschaft anzukurbeln!" Ich glaube, es ist uns gelungen, die Kinder bombardieren uns jedenfalls mit Fragen und wollen uns gar nicht mehr gehenlassen. Während ich eine geschlagene Stunde lang vergeblich versuche, von einem öffentlichen Telefon aus irgendwelche strategischen Winkelzüge einzufädeln (ich glaube, irgendeine Visumsangelegenheit mit den Amis), beobachte ich Petra argwöhnisch in einem angeregten Gespräch mit einem rotblonden Hünen, der es doch glatt schafft, sie mehr zum Lachen zu bringen als ich! Als ich ihm, etwas entnervt, mit einem männlichen Händedruck auf die Reviergrenze aufmerksam mache, stellt dieser sich vor als der "King of Wales". "Angenehm, Winnetou Goldstein. Nice to meet you!" erwidere ich. Das Problem war nur, der Typ hat das ernst gemeint, volle Kanne! Und hat die Nummer eiskalt durchgezogen für die nächsten eineinhalb Stunden. "Undercover" und in "geheimer Mission" bereitet er sich auf die Thronfolge vor. Als er uns einen arglosen Buerger als denjenigen vorstellt, der diesen Al Kaida Typen zur Strecke gebracht hat ("ne ganz harte Sau, der da!"), weiß ich, dass es jetzt höchste Zeit ist, die Insel zu verlassen. Zwei Generationen Inzucht und Marihuana waren wohl doch zuviel für diese Inselidylle. Das Fährschiff schlängelt durch das Inselgewirr in Richtung Sidney (hae, Australien?) auf Vancouver Island. "Nicht zu glauben, wir sind auf kanadischem Boden, das Ziel rückt immer näher, here we go!" Dipo |
39 | USA - Oregon - Washington (02.05.07 - 16.05.07) |