Die Berichte

Cusco (24.09.) - Lima (08.10.06)

"Hey, da vorne kommen noch so ein Paar Bekloppte!". Auf offener Strecke stehen da wieder 4 vollbepackte Räder und 8 braungebrannte Waden und zuerst wird mal geprüft, welche Sprache angesagt ist. Die beiden Japaner heissen Yuki und Yukiku (oder so) und kommen von Alaska herunter, auf jede unserer Fragen lachen sie immer hysterisch und antworten dann in sehr gebrochenem Englisch. Ihr Spanisch ist auch nicht besser und durch ihr ständiges Gekichere kommt die Unterhaltung immer wieder ins Stocken, normalerweise ergeben sich bei solchen Begegnungen immer stundenlange anregende Gespräche, bei denen die Wellenlänge einfach stimmt. Hier nicht, wir kichern also fröhlich zurück und suchen das Weite. Wir fahren minutenlang nebeneinander her, um erst beim ersten Blickkontakt in lautes Gelaechter auszubrechen, gefolgt von einer kindischen Lästerei über diese illustren Kichererbsen. Unsere Gedanken scheinen sich auf der langen Reise schon völlig eingeschwungen zu haben. Stunden später radeln wir wieder wortlos nebeneinander her, diesmal aus einem anderen Grund: 40 km Srafradeln sind angesagt, weil ich den falschen Abzweig genommen habe mit den Worten: "Des passt scho, des is richtich!". "So ist das Leben nun mal: Zwei Schritte vor, einer zurück!" oder "Der Weg ist das Ziel!". Mit solchen Weisheiten versuche ich, der Situation etwas die Schärfe zu nehmen, "Klugscheisser!" kommt zur Antwort. Bald darauf necken wir uns jedoch wieder mit "in den Hintern Zwicken" oder dem anderen ins Hinterrad Fahren , was einen herrlichen Krach macht. In Abancay, einem ziemlichen Drecksloch, stehen wir an einer Wegscheide: Zur Rechten eine fiese Steigung mit grobem Schotter, geradeaus eine herrliche, sanft ansteigende Asphaltstrasse, die sich malerisch am Ufer des Rio Apurimac entlangschlaengelt. Rechts die Route durch die Sierra, die zwar herrliche Ausblicke aber übelste Knochenarbeit verheisst, geradeaus die Route zur Küste Richtung Nasca, Pazifik, Sonne, Salsa. Wir werfen die Münze: Zahl heisst Strand, Kopf heisst Schotterpiste. Leider hat die Münze keinen Kopf drauf, wir fahren also geradeaus. "Schliesslich sind wir keine 20 mehr, wir müssen uns gar nichts beweisen!", mit solchen und anderen infantilen Ausflüchten versuchen wir, unser schlechtes Gewissen ob dieser kleinen Mogelei zu beruhigen. Vor uns liegt jedoch mit endlosen Hochebenen, einigen 4000er Pässen und vielen schönen Begegnungen eine unerwartet interessante Strecke. Freud und Leid liegen wieder mal eng beeinander, als wir gerade von unserem idyllischen Lagerplatz am Ufer des Apurimac aufgebrochen waren, höre ich von einem hohen Felsen über mir plötzlich: "Quieres una naranja?". Eine steinharte Apfelsine kracht vor mir auf den Lenker und ich sehe den Bauernjungen gerade noch lachend verschwinden. In rasender Wut knalle ich mein Rad in den Graben, ziehe den "Hundeknüppel" und sprinte wie ein Berserker brüllend den Hang hinauf. Der Dreckskerl ist natürlich auf und davon und ich brülle wüste Beschimpfungen in den Wald hinein, wohin er sich geflüchtet hat. Den schweren Knüppel in der Hand, vor Wut zitternd erschrecke ich über meine Agression. Als ich immer noch schimpfend auf mein Rad steige, bietet sich ein "hilfsbereiter" Nachbar allen Ernstes an, natürlich gegen ein Entgeld, den Übeltäter per Bus des Landes zu verweisen. Petra hält mich mit Mühe davon ab, ihm mit dem Knüppel eine überzuziehen.

Dunkle Gewitterwolken türmen sich drohend über dem 4300 m hohen Abra Huashuccasa zusammen. Minuten später flüchten wir uns in eine Kanalröhre unter der Strasse, um uns vor dem tobenden Schneesturm zu schützen. Wir haben alles an, was wir haben - und alles ist nass. 2 cm Schnee auf unseren Packtaschen und kein Ende in Sicht. Wir machen uns trotzdem auf und erreichen bald darauf die Passhöhe. Bei der steilen Abfahrt drücken wir uns im Windschatten eines Lastwagens rum, dessen warmer Dieselqualm bringt etwas "Wohnzimmeratmosphäre", bei dieser Kälte fern der Heimat darf man schliesslich nicht so wählerisch sein. In dem nächsten Kaff finden wir eine "hospedaje und wir bekommen im Hinterhof für umgerechnet 1,50 Euro eine kleine Kammer zugewiesen. Mit Kerzen und Brettern konstruiere ich eine Kleidertrocknungsanlage, die sich als sehr effektiv erweist. Auf der Strasse werden ein Paar Lamas geschlachtet und wir hauen uns in der Gaststube die Bäuche voll. Es gibt Huhn mit Reis und vorher eine "sopita", natürlich mit Huhn und Reis. Um unsere Füße wuseln die Meerschweinchen, um auf ihr Ende im Kochtopf zu warten und wir lassen s uns schmecken und hoffen, dass das Haus nicht abbrennt.

Im "parque galeras", einem Naturreservat für Guanacos und Vicunas erzählt uns Don Damaso von seiner Arbeit und führt uns sein Prachtexemplar "Machito", den kleinen Macho, vor. Der wird seinem Namen gerecht und lässt sich von uns mit (natürlich zuckerfreien) Galletas füttern. Sobald man ihm den Rücken zudrehte, versuchte er uns ins Ohr zu kneifen. Verzweifelt kämpfen die wenigen Parkwächter gegen Wilderer, die in dem 1500 ha großen Reservat wegen 250 gr Wolle einen Vicuna abknallen und den Rest dann liegen lassen. Er berichtet von der Zeit, als Überfälle von Guerilleros des"sendero luminoso" an der Tagesordnung waren und alles gestohlen wurde, was nicht niet- und nagelfest war, Zeugen wurden bei diesen Übergriffen auch nicht geduldet. Heute hat sich die Lage in weiten Teilen des Landes wieder beruhigt. Die Polizeipräsenz ist in allen Ländern immens, die Gesetzeshüter begegnen uns entgegen ihres schlechten Rufes immer korrekt und hilfsbereit. Oft werden wir nur angehalten, um sie ein wenig zu unterhalten. "Puta de madre, hasta Alaska, todo en bicicleta!?" heisst es dann anerkennend, bevor wir uns fröhlich winkend wieder auf den Weg machen.

Wie ein kleiner Junge auf seinem Bonanzarad mache ich das Motorengeräusch einer 750er "Africa Twin" nach, als es im Höllentempo über 2700 Höhenmeter vom Abra Condorcenca hinab nach Nasca geht. "Leicht anbremsen, 3.Gang, rein in die Kurve, Kupplung kommen lassen und dann schön herausbeschleunigen! Jaaaaa, geiiiil!" Ich finde, wir haben uns das verdient, die karge Gebirgslandschaft rauscht an uns vorbei, Lastwagen werden brutal überholt, rechts und links schemenhaft die ersten Kakteen, warmer Wind im Gesicht - wir nähern uns der Wüste - im Sturzflug!

"Niemals machen wir diesen Touristenscheiss mit!"- so waren unsere Worte daheim in Deutschland. Und doch sitzen wir auf einmal in einer 4 sitzigen Cessna, um über die sagenumwobenen Nascalinien zu kreisen. Ich mit dem Fotoapparat, Petra mit der Kotztüte vor dem Gesicht. Um diese Figuren im Wüstensand, z.T. 3000 Jahre alt, ranken sich viele Gerüchte. Die Erklärungen reichen von Ufolandebahnen über astronomische Kalender bis zu schamanischen Symbolen. Die deutsche Maria Reiche hat ihr Leben der ernsthaften Erforschung dieser Tiersymbole gewidmet und viel zu deren Popularität beigetragen. Mit Liliana, einer Kneipenbesitzerin und Fremdenführerin (irgendwie ist hier jeder Fremdenführer) verbringen wir einen Tag als Pauschaltouristen. Irgendwoher kommt plötzlich ein wilder Indianer mit seinem 5 l Chevy Truck angegluckert und wir schaukeln mit erstaunlichem Lenkradspiel nach Chauchilla, dem historischen Gräberfeld. Nur noch wenige der Mumien, die in Fötalstellung beigesetzt wurden (schliesslich sollen sie ja wiedergeboren werden!) sind noch nicht ausgeplündert worden. Selbst zum Schutz der wenigen fehlen die Mittel. Grotesk trotzen die ausgeblichenen Schädel, das Haar vergilbt, dem heissen Wüstenwind und der unbarmherzig brennenden Sonne. Wir werden noch in verschiedene Museen geschleift, in denen sehr lebendig die Goldgewinnung aus der nahegelegenen Mine demonstriert wird. Mittelalterliche Arbeitsmethoden, mir kommt die letzte Prüfung der Berufsgenossenschaft in den Sinn. Sind wir hier auch nicht in einem Drittweltland, so erschauern wir doch immer wieder vor der Brutalität, die das Leben hier zeigt. Keine Versicherung, die einen Arbeitsunfall absichert. Gesundheitsvorsorge ist ein Fremdwort, ärztliche Behandlung ist teuer, wer kein Geld hat, stirbt halt. Wir treffen immer wieder auf Projekte von "Ärzte ohne Grenzen", die lebenswichtige Impfprogramme für Kinder durchführen. Sicherlich ist deren Haupteinsatzgebiet woanders, in Katastrophengebieten, dennoch sind wir stolz, ein paar Euro für diese effektiv arbeitende Organisation zusammenzukratzen, um deren Arbeit zu unterstützen.

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Fröhlicher gehts dann in der Töpferwerkstatt zu, in 7 Sprachen, wild durcheinander, demonstriert der dicke Meister seine Kunst und kurbelt mit seinem Witz den Verkauf seiner Figürchen mächtig an. Sein Grossvater hat die traditionelle Arbeitsweise der Inkas vor dem Aussterben gerettet und unser "gordito" sorgt mit seiner zahlreichen Kinderschar für die Fortführung dieser Kunst. Es wird ohne Töpferscheibe gearbeitet und nach dem Brand sorgt das Fett von des Meisters Nase für den charakteristischen Glanz.

"Kette rechts und los!". Über sanfte Wellen führt die Panamericana durch die Küstenwüste. Wir steigen kaum vom Rad ab und freuen uns über Tagesleistungen von 150 km. Unseren Beinen, insbesondere meinem zusammengeflickten Knie tut dieses gleichmäßige Kurbeln gut. Natürlich lassen wir die Oase Huancachina nicht aus und toben uns mit einem Snowboard auf der 300 m hohen Düne aus. Petra schliesst sich einer Tour mit dem "Sandbuggy" an, ich rümpfe natürlich über solch profane Vergnügungen nur die Nase und lege mich mit ein paar kühlen Bier an den Pool.