Hinter einer Holzbaracke suchen wir Schutz vor dem eisigen Wind und stopfen einige Müsliriegel in uns rein. Wir ziehen alles an, was wir haben und schlagen spät abends beim Tagish Lake unser Lager auf. Als wir100 m vom Zelt entfernt zu kochen beginnen, schaut uns ein Grizzly von der gegenüberliegenden Böschung interessiert zu und hebt periodisch sein Näschen. Wir behalten ihn gut im Auge, hieven unsere Vorräte zwischen zwei mickrigen Fichten in erforderliche 4m Höhe und machen Meister Petz ständig auf unsere Anwesenheit aufmerksam. Dies geschieht am besten durch lautes Reden oder Singen, alles was mir dauerhaft an Versen in Erinnerung ist, sind jedoch unanständige Trinklieder aus Handballzeiten, die ich dann auch aus voller Brust schmettere. Dreckig, frierend und satt liegen wir im Zelt, auf jeden Laut horchend, den Bärenspray in Griffnähe. Irgendwann schlafen wir dann ein. Auf der Strecke nach Whitehorse haben wir noch einige wunder - bäre Begegnungen. Auf einer Abfahrt redet Petra plötzlich sonor mit beschwörender Stimme: "Hallo Baer, schön, dass du da bist! Es ist alles gut! Bleib, wo du bist!". Bevor ich mit "Hae?" antworten kann, schau ich dem verdutzten Grizzly ins Gesicht, der 5 m neben uns auf der Böschung hockt. "Kurzfristig kann ein Ursus bis zu 50 km/h erreichen", so heißt es in einer der vielen Bär-Broschüren. Ein Blick auf meinen Tacho zeigt 45! Der nächste Blick in den Spiegel jedoch - nichts. "Biker sind ihm eh zu zäh" versuche ich mich zu beruhigen. IM KANU VON CARMACKS NACH DAWSON CITY "Scheidungsboot" nennt man das Kanu. Nachdem wir uns jetzt in 16 Monaten schon reichhaltig auf die Nerven gegangen sind, wollen wir nun wirklich wissen, ob wir füreinander geschaffen sind. Von Carmacks aus beladen wir eines dieser wackeligen Boote mit unserem Hab und Gut und vertrauen Stuart, dem Buspiloten von Yukon-Alaska unsere Räder an. Mit offenem Mund schauen wir einem Italiener zu, der voll beladen eine halbe Stunde gegen die Strömung ankämpft, ohne wirklich voranzukommen. " Dawsonnn isss overrr serrr, in see Norssss, no?" ruft er verzweifelt. " Da lang, der Fluss macht eine Schleife!" versucht ihm der völlig verstörte Kanadier vom Ufer aus zuzurufen. Manchmal ist es besser, sich treiben zu lassen. Nicht immer ist der direkte Weg der schnellste zum Ziel. "Leinen los und ab!", kurz danach geraten wir schon in die erste Diskussion: "Warum sitzt du überhaupt hinten?", "Paddel gescheit!", "Links rum oder rechts? Nein, nicht da!" usw. Wir spielen uns jedoch ein und schaffen nach einigen Meilen sogar die ersten Stromschnellen, ohne zu ersaufen, mit nur geringem Wassereinbruch. Bald darauf biegt auch der Highway ab und wir werden in die Stille entlassen. Zu hören ist nur der Paddelschlag (wenn Petra nicht redet). Vor uns liegen 450 km Fluss, absolute Wildnis. Wir werden völlig auf uns gestellt sein mit dem Gefühl, einzutauchen und wirklich ein Teil der Natur zu sein. Ein Unfall oder ein Kentern kann unter Umständen bedeuten, eine Woche auf ein vorbeifahrendes Boot zu warten (natürlich ohne zu essen). In der ersten Nacht lernen wir gleich mal, einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Aufgrund des Hochwassers sind alle Sandbänke unter Wasser und wir landen im Gestrüpp. Die Moskitos quälen uns bis zur Weißglut und wir schleifen fluchend unsere Essenssäcke durchs Unterholz, weit weg vom Zelt, um sie in einer blauen Tonne dicht zu verstauen. Bärensicher! Hoffentlich! Aufs Abendessen verzichten wir, wir sind zu müde. Die folgenden Tage machen wir es besser. Vertraut mit der Flusskarte bekommen wir einen Blick für die besten Anlegeplätze. Wo kann man landen, wo gibt es weniger Moskitos und wo hat der Baer eine Chance, uns rechtzeitig zu wittern. Nach und nach legen wir unseren sportlichen Ehrgeiz ab und lassen uns immer öfters von der trägen Strömung tragen. Die Landschaft zieht wie ein Film an uns vorbei, steile Felswände, endlose bewaldete Abhänge, enge Canyons. Wie auf dem Präsentierteller erscheinen Elche, Fischotter und Biber um uns herum. Wir haben sogar das seltene Glück, einen Allesfresser, den "wolverine", lebend zu Gesicht zu bekommen. Ein Glück, das selbst erfahrenen Trappern oft verwehrt bleibt. Wir lassen uns treiben, essen den ganzen Tag und finden wunderbare Lagerplätze. Wir machen Halt in Fort Selkirk, einem verlassenen Handelsposten, der originalgetreu in Stand gehalten wird. Beim Betreten der alten Blockhütten erlebe ich mit allen Sinnen, wie das Leben hier gewesen sein muss. Ich gehe durch die Bankreihen im Schulhaus und stelle mir vor, wie der eiserne Ofen im Winter gebullert hat, sehe die Sonnenstrahlen durch die hohen Kirchenfenster auf das rußgeschwärzte Holz scheinen und lasse mich in "Armstrongs Cabin" in einen zerbröckelnden Schaukelstuhl nieder. Für einen Augenblick schließe ich die Augen und glaube zu spüren, was für ein entbehrungsreiches Leben die Menschen hier hatten. Nachdem der Rausch des Goldes verebbt war, wurde der Posten aufgegeben, da kaum jemand diese beschwerliche Route mehr bereiste. Nach fünf Tagen legen wir in Dawson City an. DAWSON CITY Auch hier lebt die Geschichte von 1899 auf: Als erstes nehmen wir einen Drink im "Downtown Hotel", die Spezialität des Hauses ist ein Whisky mit einem Fußzeh drin. Natürlich wird peinlichst darauf geachtet, dass niemand ihn vor lauter Begeisterung mit runterspühlt, denn das gute Stück wird nachher wieder fein säuberlich in seinem Alkoholbad ins Regal gestellt, wo es die nächsten 30 Jahre zeh-lt. Wir können uns kaum lösen, ein besonderer Ort, komisch und wild. Dem Besucher wird wirklich originell vermittelt, was damals für eine Karnevalsstimmung geherrscht hat. Der Goldgräber kommt verdreckt und ausgemergelt von seinem Claim oben am Klondike, manchmal die Taschen voll Gold. Hier findet er alles, was das Herz begehrt. Bei einer Führung durchs Theater atmen wir die Atmosphäre einer Show, wenn Charlie auf dem Pferd auf die Bühne reitet, bei Schiesseinlagen versehentlich einer Assistentin den Finger abknallt oder die Menge beim "mummy dance" außer Rand und Band gerät: Eine berüchtigte Diva dreht sich, als Mumie verkleidet, tanzend im Kreise, ihr makelloser Leib entblößt sich langsam ent-wickelnd (oh, la, la!) Auf der Strasse kommt uns, etwas bleich, Matthias entgegen. Er hatte gerade, unterwegs am Yukon, ein Rendezvous mit einem Bären, der sich sehr für sein Gummiboot und die darin verstauten Vorräte interessierte. Der Schreck sitzt ihm merklich in den Knochen und wir haken ihn unter und besuchen zusammen das "Diamond Tooth Gerties", Kabarett und Spielsalon. Nach ein Paar Bier beginnt die Show und ich werde auserkoren, mein Land auf der Bühne zu vertreten. Mit einer Tänzerin im Arm (sie war so leicht wie eine Feder!) wird unter den Kontrahenten ein Sängerwettstreit ausgetragen. Die Siegeslorbeeren muss ich nur mit einem rüstigen New Yorker teilen und darf zur Belohnung der Schönen das Strumpfband vom Schenkel streifen. Die Menge gerät außer sich und jenes Band schmückt fortan mein Rad! "You have to see this place! You ll see a lot of Yukon Wildlife!" Gemeint ist das "Westminster", wir sitzen also bald an der Bar und sehen uns umringt von finsteren Gestalten, bärtigen Trappern und derben Schönheiten. Uns bleibt die Spucke weg, als einer aufsteht, ein Hüne mit einem Kreuz wie ein Bär und Händen wie Bratpfannen - sich ans Klavier setzt und herzzerreißend spielt. Wir grölen irische Trinklieder und probieren alle einheimischen Biere. Hier gibt es kein Ende, keiner geht heim, es ist immer hell und den Menschen ist anzumerken, wie sehr sie sich gesehnt haben nach Sonne und Leben. Juni, Juli und August: Das ist hier Frühling , Sommer und Herbst. Den Rest der Zeit ist Winter und zwischen November und Februar geht die Sonne nie auf. Im Nieselregen, noch halb berauscht (natürlich von den Eindrücken Dawsons) machen wir uns auf den Weg. Wir treffen Heidi und Markus, die gerade von Anchorage gestartet sind mit Ziel....Ushuaia. Ihre Sachen sind alle noch ganz neu, die Räder glänzen. Die zwei machen einen guten Eindruck und natürlich gibt es viel zu erzählen. Uns wird wieder mal bewusst, wie viel wir schon erlebt haben und wir bemühen uns, die beiden nicht mit zu viel Information zu beladen. " Die sind gut drauf, fit und gut ausgerüstet. Die werden klarkommen und ihre eigenen Begegnungen haben!". Ist das etwas, das wir gelernt haben? Dass es sich nicht lohnt, sich zu sehr zu sorgen? Dass meistens alles anders kommt und doch gut kommt? "you can t discover New Oceans "TOP OF THE WORLD HIGHWAY" Der erste Berg auf den "Top of the World Highway " holt mich gleich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und der Fokus liegt auf der Vorderseite meiner brennenden Oberschenkel anstatt bei philosophischen Ausschweifungen. Demut, das haben wir auch gelernt, ist an jedem Berg neu zu erfahren. Wehmut schleicht sich auch von der Seite an, die letzte Grenze liegt vor uns, als wir über sanfte Hügel entlang der endlosen Bergkette kurbeln. |
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