Kaum in Widbey Island abgelegt, stehen wir mit Kaffee und Donat bestückt an der Reling! Der Abschied von USA fällt uns nicht schwer, da wir ja im Norden Kanadas wieder zurück in dieses Land wollen.

Bemüht einen Ausreisestempel zu bekommen um unsere Auszeit von Amerika im Pass beidseitig dokumentiert zu haben legen wir nach wenigen Stunden unverrichteter Dinge in Kanada an. Der aufgeschlossene Zollbeamte verpasst uns einen Einreisestempel und auf meine Anfrage hin, ob es hier auch eine Amerikanische Zollstelle gibt, klaaaaaaert eeeeer uuuuunssss gaaaaanz laaaaangsaaaaam auf daaas wiiiir uuuuuns in Kaaanaaadaaaaa beefiiiinden!!" Dankbar für diese empathische Aufklärung strampeln wir ins Ankunftstädtchen Sidney.

Die nächsten Tage verbringen wir mit Rebecca, Ian und deren Familie aus Victoria. Wir haben sie in Galapagos kennengelernt ebenso wie Claire und Shaun zwei lustige Australier, die wunderlicherweise nach Galapagos und einer ausgiebigen Rucksackreise durch Südamerika hier in Sidney BC und anstatt in Sidney Australien gestrandet sind!

Nach drei spaßigen, freundschaftlichen Tagen und der Begegnung mit Rob dem Weltreisenden, machen wir uns auf nach Vancouver, weil dort sind weitere fantastische Besuche angesagt. Die Fahrt dorthin führt uns unweigerlich wieder auf ein Schiff. Diese Fähren sind komfortable Riesenbadewannen, die Fahrzeuge und Menschen jeder Art sicher von A nach B transportieren. Während der Fahrt halten wir angestrengt Ausschau nach Killerwalen, die hier oft, allerdings erst später im Jahr zu sehen sind, dann wenn die großen Lachse Einzug halten. Einmal auf der anderen Seite angekommen, schleichen wir uns auf wunderbar angelegten Bikewegen Richtung Vancouver. Nach etwa 50 Kilometer stehen wir etwas deplatziert vor einer Tafel, die uns einen Shuttle durch einen nicht passierbaren Unterwassertunnel anbietet, den einzigen Weg in die Stadt Vancouver. "Drei Stunden Warten für fünf Minuten Shuttle?" Motiviert und enthusiastisch strecken wir jedem übergroßen Pickup unseren Daumen entgegen. Abgeschreckt von unserem rollenden Übergepäck preschen die Autos an uns vorbei. Ein Winken und Rufen erweckt unsere Aufmerksamkeit und zehn Minuten später sitzen wir mit unseren beladenen Rädern im Shuttlebus. Der liebenswürdige Kanadier aus Indien legt eine Spezialfahrt für uns ein. Wir können unser Glück wieder mal nicht fassen. Nicht nur schenkt er uns drei Stunden Wartezeit, außerdem türmen sich die Gewitterwolken über uns gefährlich zusammen. Wir erreichen durch diese Geste pünktlich um 18 Uhr Granville Island mitten in Vancouver, wo wir eine Verabredung mit Christine haben.

Sie lebt und arbeitet im wunderschönen Zentrum von Vancouver, wir haben uns zuvor in Mexico kennengelernt. Eine dieser Begegnungen, wo der Abschied weh tut und ein Wiedersehen unausweichlich macht.

Aus zwei werden fünf Tage und jeder Tag ist gefüllt mit Wunderbarem, lange nicht mehr oder noch nie Gemachtem. Hast du schon mal:

  • -Hoola Hoop am Strand von Vancouver  über deinen Hüften geschwungen?
  • Dich auf einer Hängebrücke zum Affen gemacht
  • Eine Glasklangschalen Trance kreiert
  • Champagner auf den Hausberg von Vancouver geschleift und oben entkorkt
  • Gelacht bis zum Erbrechen
  • Entensprache auf kanadisch übersetzt
  • Lululemon Mitarbeiter zu Lilibanana-Sissis getrieben

Eine wunderbare Woche wird noch getoppt mit dem Besuch bei Rose und Marten, wo wir uns mit Dipos Schwester Tina und Frank treffen. Was für ein Wiedersehen! Die Freude ist gross, die Stimmung herzlich und der Abend viel zu kurz.

Ausgeruht und mit vollem Herzen rollen wir, wie immer, gen Norden. Weil es so schön klingt und es uns so heiß empfohlen wird, radeln wir der "Sunshine Coast" entlang. Unser Ziel liegt hinter malerischem 160 Kilometer langem Auf und Ab in Powell River . Das Wetter hält, was es verspricht und die Gegend ist wirklich hübsch. Die Menschen hier freuen sich über das tolle Wetter und grüssen uns überschwänglich. Einer, sein Name ist Jim, lädt uns kurzerhand auf eine kleine Sightseeing Tour im Motorboot ein, durch die wir einen phantastischen Einblick in diese verwunschene Küste bekommen. Einsame Buchten, Inseln und abgelegene kleine Bootshäuser oder Riesenanwesen schmücken diese Gegend. Eine Stunde später hocken wir schon wieder auf unseren Rädern und schwärmen von dieser spontanen Spritztour.

In Powell River legt unsere Fähre frühmorgens ab und wir stehen noch ziemlich zerknautscht, gezeichnet von der unbequemen letzten Nacht an der Reling und starren geistesabwesend übers Wasser.

Nicht wirklich erpicht auf ausgiebige Frage - Antwortspiele der zahlreich anwesenden RV Touristen, verkriechen wir uns in einen der bequemen Rollzuruecksitze. Das zweite Mal erreichen wir nun Vancouver Island und ich freue mich auf diesen interessanten Abstecher. Interessant auch, weil wir uns definitiv an ungewohnte Verhaltensregeln gewöhnen sollten. Das hier ist Bärenland und wir hören uns geduldig aber auch fasziniert viele Schauergeschichten an. Die Einheimischen geben sie mit Vorliebe den ankommenden Touristen zum Besten. Den absoluten Lieblingswitz der Kanadier möchte ich  Dir nicht vorenthalten.

" Was ist der Unterschied zwischen Grizzlykacka
und Schwarzbärkacka?"
" Der Schwarzbärhaufen hat Beerensamen,
der vom Grizzly dagegen
hat Pfefferspray und Glöckchen drin."

Wir hören uns das also alles an und glauben heraus zu spüren, dass keiner das Thema auf die leichte Schulter nimmt. Nach der zehnten erschreckten Anfrage, ob wir wirklich draußen campen und ob wir ohne Waffe Fahrrad fahren, steuern wir schnurstracks zum nächsten Outdoorladen und bestücken uns mit einem Bärenspray, der aussieht wie eine Babyflasche plus zwei hübschen Glöckchen.

Klingeldingel begleitet uns von nun an, bis uns von Zeit zu Zeit der Geduldsfaden reißt und wir diesen Nervenaufreibenden bzw. ohrenbetäubenden Reisebegleiter in die Tasche stecken um dem Vogelgezwitscher und dem Rauschen in den Tannenspitzen zu lauschen.

Abends verstauen wir alles von duftender Körpercreme bis zum letzten Brotkrume in unsere Taschen und suchen ein extrastarkes Bäumchen, um diese in Bärensicherer Höhe aufzuhängen. Wir kochen weit weg vom Zelt und ebenso weit weg in die andere Richtung verrichten wir unser "Angstbisssi" vor dem Schlafengehen. Nach drei ungestörten Nächten wiegen wir uns einigermaßen in Sicherheit, dies wird jedoch in Luft aufgelöst, als wir um die nächste Kurve kommen. Ich weiß nicht, wer verdutzter guckt, die Schwarzbärmama mit ihren beiden Sprösslingen, oder wir.

Es gibt sie also wirklich! Na gut, wir befolgen also brav alle Verhaltensregeln, singen und glöckeln auf rasanten Abfahrten, campen nicht an Wasserfällen und hinterlassen keinerlei Geruchsspuren, wo wir uns zur Nachtzeit niederlassen. Niemals spazieren wir auf Zehenspitzen durchs Unterholz oder lassen die Zahnpasta im Zelt liegen.

In Port Neill beschließen wir einen Abstecher auf zwei der kleinen vorgelagerten Inseln. Die erste Nacht verbringen wir auf Sointula, da wo sich im Juli die Killerwale am Strand rollen. Aus der zweiten Inselnacht wird nichts, weil unsere Brotration in einer unachtsamen Minute von einer Krähenbande verschleppt wird. Wir fahren also am nächsten Morgen nach Alert Bay, um das First Nation Museum zu besuchen, das weit gerühmt wird. Emotional berührt und tief beeindruckt verlassen wir diese Sammelstätte, die Masken und andere spirituelle Ausstellungsstücke beherbergt. Feinfühlig dokumentiert mit Geschichten und Einzelschicksalen, wurden sie unter großem privaten Engagement über viele Jahre gesammelt, versteckt und von Museen auf der ganzen Welt zurückgefordert. Dies geschah während der Jahre, in denen den Eingeborenen das traditionelle Potlach verboten war. Zur gleichen Zeit wurden die Kinder der "Natives" in Internatsschulen gesteckt und es wurde ihnen verboten, ihre Sprache zu sprechen. Sie wurden in Englisch unterrichtet und vergaßen so ihre Sprache, Kultur und vielen ging ihre kulturelle Zugehörigkeit verloren. Einmal mehr stoßen wir auf das gleiche Thema von Landbesetzung und Überstülpung anderer Werte und Kulturen.

Seit den 50er Jahren hat sich vieles geändert. Die "First Nations" kämpfen für ihre Rechte, bekommen vieles zugesprochen, das Potlach hat wieder einen legalen Stellenwert und die Kinder sind in ihren eigenen Familien. Die Handarbeiten und traditionellen Zeremonien erwecken positive Aufmerksamkeit, finden Anklang und Respekt, vor allem im touristischen Bereich.

Es ist ein trauriges Thema und ich könnte lange davon berichten, fühle mich aber nicht kompetent genug darüber zu erzählen. Zu jeder positiven Bemühung, Gleichstellung zu schaffen, gibt es Beispiele, wo es überhaupt nicht gleichberechtigt erscheint. Ich hoffe, es wird einen Weg geben, wo die Eingeborenen und deren Kindeskinder wieder ihren Einklang mit der Natur und Einklang mit den "Besuchern", wie sie die nicht immer da gewesenen Kanadier nennen, finden.

Nachdenklich legen wir ab und werden, kaum auf der Fähre, auf die Brücke eingeladen. Der Kapitän, ein Deutscher, der seit vielen Jahren in Kanada lebt, sieht die Flagge an Dipos Rad und schwups lernen wir einiges über den Job eines Kapitäns auf kanadischen Gewässern. Außerdem ist die Aussicht von dort oben so grandios, dass wir Delphine auf ihrem Nachmittagsausflug beobachten können. Zurück in Port Mc Neill hopsen wir auf unsere Räder und los geht’s zur Nordspitze von Vancouver, um die Fähre nach Prince Rupert zu erwischen.

Prince Rupert

Prince Rupert, eine kleine Stadt mit Museum und Hafen, in dem jede Woche zig Kreuzfahrtschiffe anlegen, die außer vom Tourismus auch vom Fischfang lebt. Wir wollen von hier aus die einzige Strasse nehmen, die über Terrace zum Inland führt. Diese soll uns zum Cassiar Highway nach Watson Lake und über den Alaska Highway nach Whitehorse führen. Tja, soviel zu unserer Planung. Nachdem wir in Prince Rupert den Weißkopfseeadler in aller Ruhe photographiert und studiert haben, geht’s frisch fröhlich und vollgepackt und mit ballaststoffgefüllten Taschen, nach Norden. Die Nachricht trifft uns unverhofft und wie ein Faustschlag ins Gesicht. "Was? Geschlossen?" Die Strasse vor Terrace wurde soeben gesperrt. Sämtlicher Verkehr ist lahmgelegt, Strasse und Geleise weggeschwemmt oder überspült. Die heftigen Regenfälle und die Schneeschmelze verschlechtern die Situation von Stunde zu Stunde. "Können wir mit dem Fahrrad durch?" Meine nächste idiotische Frage bleibt mir im Halse stecken, denn ich denke an all die Menschen, die möglicherweise ihr Heim, den Hof oder gar ihr Leben verloren haben oder sonstige wirklichen Probleme, die diese Sperrung für die Einheimischen hier mit sich bringt. Die Vorräte im Supermarkt schrumpfen innerhalb weniger Stunden, weil die Anwohner und eingewässerten Touristen zu hamstern beginnen. Wieder zurück in Prince Rupert, dem Sammelbecken aller Gestrandeten, stehen uns vier Möglichkeiten zur Verfügung:

  • einige Wochen oder so, warten!!!!( geht nicht)
  • Rausfliegen (auf keinen Fall)
  • Rausschwimmen (zu kalt)
  • Rausboeteln (also los!)

Das Gute an der Schiffspassage ist, dass wir mit dem Fahrrad auf jeden Fall einen Platz bekommen und die "Inside Passage" der absolute Renner sein soll. Wir rollen also siegessicher an den Warteschlangen der Autos vorbei zum Tor, das uns nicht nur aufs Schiff, sondern auch nach Alaska führt.

40 | KANADA 1
"WO WEISSKOPFADLER IHRE SCHWINGEN SPREIZEN "
Sidney bis Prinz Rupert - 16.05. - 07.06.2007